Medizinisches Grundwissen für die Yogapraxis – Die Wirbelsäule

Die Aufrichtung der Wirbelsäule steht in der ᾱsana-praxis an erster Stelle. Somit ist ihre Gesundheit und Stabilität eine ganz wichtige Voraussetzung für das Üben und nicht zuletzt auch dafür, um am Ende in der Meditation schmerzfrei und aufgerichtet sitzen zu können. Viele Kursteilnehmer kommen in den wöchentlichen Unterricht, um u.a. ihren Rücken zu stärken. Damit man als Yogalehrer richtig anleitet, ist dabei das Wissen über die Anatomie des Rückens von großer Bedeutung.

Dieses Wissen ist aus meiner Sicht auch eine Voraussetzung, um einige Grundprinzipien des Yoga angemessen umsetzen zu können. Gemeint ist das Prinzip der öffnenden und schließenden Haltungen. Alle Informationen, die dieses Prinzip umfassen, sind in der Abbildung zusammengefasst dargestellt.

Bei einer Rückbeuge wird die Rückenmuskulatur aktiv, d.h. sie verkürzt sich und die Muskulatur der Körpervorderseite wird gedehnt. Bei der Vorbeuge dreht sich dieses Prinzip um. Die Bauchmuskulatur wird aktiv und die Rückenmuskulatur hingegen gedehnt. Bei der Vor- und der Rückbeuge geht es vor allem darum, den Rücken in einen harmonischen Bogen zu bringen. Um dahin zu gelangen, ist in aller Regel Übung nötig (ᾱsana-praxis), denn die meisten Menschen haben nicht die Möglichkeik sich gleich in diese „ideale“ Form zu bringen, da die körperlichen Voraussetzungen wie Kraft und Beweglichkeit (sthira – sukha) fehlen. Ich möchte nun den Rücken in seiner natürlichen doppel S-Form genauer beschreiben, damit man im Verlauf verstehen kann, warum es so schwierig ist und wo die physischen Hindernisse liegen können.

Die Wirbelsäule (columna vertebralis) bildet die Achse des Körpers und ist in einer doppel-S-förmigen Struktur aufgebaut. Durch diese Art des Aufbaus ist die Wirbelsäule in der Lage federnd auf Stöße zu reagieren und macht sie dadurch deutlich widerstandsfähiger gegenüber Stauchungen als ein gerader Stab. Die Einzelteile der Wirbelsäule bestehen im Groben aus zwei Anteilen, den knöchernen Wirbeln und den elastischen Bandscheiben. Die Wirbelsäule wird in fünf Abschnitte eingeteilt:

  • sieben Halswirbel,
  • zwölf Brustwirbel,
  • fünf Lendenwirbel,
  • fünf miteinander verwachsene Kreuzbeinwirbel und
  • vier bis fünf kleine Steißwirbel.

Die Grundform aller Wirbel ist gleich und ähnelt in ihrem Aufbau der Form eines Ringes oder Vorhängeschlosses. Nach vorn (zum Bauch – ventral) gelegen, befindet sich der stabile Wirbelkörper, der das eigentliche Stützelement der Wirbelsäule bildet. Von dort nach hinten ausgehend (zum Rücken – dorsal) liegt der Wirbelbogen, von dem seitlich (lateral) die Querfortsätze abgehen und an denen sich wiederum die Ansatzstellen der Gelenkflächen befinden. Nach hinten (dorsal) sind dann die Dornfortsätze angeordnet. Die Wirbelbogen umschließen bzw. bilden das Wirbelloch, in dem der Spinalkanal mit dem Rückenmark (medulla spinalis) mit seinen Hüllen und Blutgefäßen (den inneren Wirbelvenengeflechten) verläuft. Die Wirbel sind so aufeinandergelegen, dass Wirbel auf Wirbel und Bogen auf Bogen zu liegen kommen und diese sogenannten Facettengelenke an den Gelenkflächen flach miteinander verbunden sind. Die Summe der Teilbweglichkeiten der einzelnen Facettengelenke aller Wirbelsäulensegmente ergibt die Gesamtbeweglichkeit der Wirbelsäule. Diese ist von Abschnitt zu Abschnitt unterschiedlich. Die Halswirbelsäule ist der beweglichste und deshalb auch gleichzeitig der fragilste Bereich.

Die Besonderheit der Halswirbelsäule besteht zum einen darin, dass diese Wirbel im Vergleich zu den anderen Abschnitten der Wirbelsäule eher zierlich und klein aufgebaut sind und zum anderen in der Beschaffenheit der beiden obersten Halswirbel, dem Atlas (C1) und dem Axis (C2). Der Atlas, der den Kopf trägt, sitzt wie ein knöcherner Ring gestülpt über den Zahn des Axis. Bänder innerhalb dieser Struktur sorgen für einen stabilen Halt. Durch dieses besondere Gelenk bekommt der Kopf eine sehr große Bewegungsmöglichkeit. Er kann sich zum einen, nur aus diesem Gelenk, mind. 10° nach hinten beugen und nach vorn neigen, ohne dass die Halswirbelsäule sich dabei mit bewegt. Bei einer Seitdrehung des Kopfes kann sich der Atlas auf dem Zahn des Axis drehen, so dass der Kopf zur Seite schauen kann.

Der Bereich des Nackens stellt mit seiner schlanken Verbindung von Körper zum Kopf eine Art „Achillesferse“ im Bereich der Wirbelsäule dar. Alle entscheidenden Versorgungssysteme verlaufen über diesen Engpass und verbinden die „Schaltzentrale“ Kopf mit dem „Betriebssystem“ Körper. Die Wirbelarterien verlaufen schlängelnd, rechts und links durch die Querfortsätze der Halswirbelkörper und sind für die Versorgung des Kleinhirns bzw. den hinteren Gehirnanteil zuständig. Das Rückenmark, das im Bereich der Halswirbelsäule besonders dick ist, verläuft durch den Rückenmarkskanal und entlässt, seitlich aus den Wirbellöchern, acht paarig angelegte Rückenmarksnerven (C1 - C8), die unter anderem die Arme versorgen.

Die Halswirbelsäule ist in einer Lordose und kann bei Überstreckung (Hyperlordose) überfordert werden. Wenn ein/e Yogalehrer/in über diese anatomischen Vorrausetzungen informiert ist, so wird sie keinen Schüler in extreme Haltungen bringen, denn es liegt auf der Hand, dass diese Schaden bringen könnten, wenn es in diesem Bereich zu einer Überstreckung käme. So sollte klar sein, dass eine harmonische Beugung, bzw. Streckung der Wirbelsäule auch einer Schädigung vorbeugt.

Der Bereich der Brustwirbelsäule geht in eine leichte, natürliche Vorbeuge (Kyphose). Die zwölf Wirbelkörper (Th1- Th12) der Brustwirbelsäule sind in ihrem Aufbau wesentlich kräftiger als die der Halswirbelsäule. Seitlich an den Wirbelkörpern befinden sich kleine Gelenkflächen, die die Verbindung zu den Rippenköpfchen bilden. Die nach hinten gelegenen Dornfortsätze sind nach unten gezogen und liegen dachzielartig übereinander. Durch diese Anordnung der Dornfortsätze und die ansetzenden Rippen ist die BWS das am wenigsten bewegliche Segment der Wirbelsäule. Bedingt durch diese anatomischen Gegebenheiten und durch viel statische Tätigkeiten neigt die Brustwirbelsäule dazu sich mehr nach vorn zu krümmen als es ihr gut tut. Die meisten Menschen haben einen viel zu runden oberen Rücken, was zum einen dazu führt, dass sich die Muskulatur im oberen Rücken abschwächt, während sie sich vorn im Bereich der Brustmuskulatur verkürzt. Damit wird dann leider auch der Atemraum eingeschränkt.

Das heisst, im Bereich des oberen Rückens ist es nötig Kraft aufzubauen, dann ist er erst in der Lage sich aufzurichten und sich in den besagten harmonischen Bogen der ganzen Wirbelsäule einzufügen.

Die fünf Lendenwirbel unterscheiden sich durch einen hohen und breiteren Wirbelkörperaufbau von den übrigen Wirbeln. Auch die Dornfortsätze sind nicht mehr nach unten dachziegelartig angeordnet, sondern stehen fast horizontal aufgerichtet. Dieses verleiht der Lendenwirbelsäule eine viel höhere Beweglichkeit für die Vor- und Rückbeuge. Jedoch ist durch die seitlichen, fast senkrecht aufgerichteten Gelenkflächen, die Drehung und Seitneigung in diesem Bereich sehr eingeschränkt bis gar nicht möglich. Auch bedingt dadurch, dass die Lendenwirbelsäule den ganzen Körper tragen muß, ist eine kräftige Muskulatur nötig. Wird allerdings die Lendenmuskulatur zu einseitig in Richtung Kräftigung trainiert, kann es dazu führen, dass der Bereich des unteren Rückens in eine Art Überspannung kommt und die an dieser Stelle natürliche Lordose in eine Hyperlordose gerät. Die dadurch entstehende Spannung (Überkompensation) kann erklären, warum viele Schwierigkeiten Menschen im Bereich des unteren Rückes haben. Die Schwäche, die viele Menschen im oberen Rücken haben und die dort eine Aufrichtung verhindert, führt auch oft dazu, dass beim Aufrichten-wollen die Lendenwirbelsäule angespannt wird, anstatt eben „nur“ Brustwirbelsäulenbereich aufzurichten.

Verwendete Literatur: Kurt Tittel, Beschreibende und funktionelle Anatomie, 1994

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